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Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

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Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung

Mit dem Rechtsanspruch „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung“ kann ein Unternehmen Erzeugnisse auch in anderen Mitgliedstaaten verkaufen.

Unter dem „Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Waren (mutual recognition of goods)“ kann ein Unternehmen, wenn es ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat rechtmäßig und unter Einhaltung der geltenden nationalen technischen Vorschriften dieses Mitgliedstaats verkauft, dieses Erzeugnis auch in anderen Mitgliedstaaten verkaufen.

Technische Hindernisse für den freien Warenverkehr können vorliegen, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats nationale Regelungen anwenden, in denen Anforderungen für Erzeugnisse festgelegt werden, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden. Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden, sind Waren oder Waren desselben Typs, die den in diesem Mitgliedstaat geltenden einschlägigen Vorschriften entsprechen oder keinen derartigen Vorschriften in diesem Mitgliedstaat unterliegen und Endnutzern in diesem Mitgliedstaat zur Verfügung gestellt werden. Wenn durch nationale Vorschriften das Sekundärrecht der EU nicht umgesetzt wird, stellen sie technische Hindernisse dar, auf die die Artikel 34 und 36 AEUV auch dann anwendbar sind, wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ist durch die Rechtssprechung geschaffen worden

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung geschaffen. Im Urteil in der Rechtssache Cassis de Dijon stellte der Gerichtshof fest, dass bei nicht vorhandener Harmonisierung nationale Vorschriften, die Anforderungen (wie z. B. in Bezug auf Bezeichnung, Form, Größe, Gewicht, Zusammensetzung, Aufmachung, Etikettierung, Verpackung) festlegen, denen Waren aus anderen Mitgliedstaaten, in denen diese Waren rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht sind, genügen müssen, Hindernisse für den freien Warenverkehr darstellen und nach Artikel 34 AEUV verbotene Maßnahmen sind.

Nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte ein Unternehmen, wenn es ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat rechtmäßig und unter Einhaltung der geltenden nationalen technischen Vorschriften dieses Mitgliedstaats verkauft, dieses Erzeugnis auch in anderen Mitgliedstaaten verkaufen dürfen, ohne es an die nationalen Vorschriften der einführenden Mitgliedstaaten anpassen zu müssen.

Daher dürfen die Bestimmungsmitgliedstaaten das Inverkehrbringen von Waren, die auf EU-Ebene nicht harmonisiert sind und die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig in Verkehr gebracht sind, grundsätzlich selbst dann nicht beschränken oder ablehnen, wenn sie nach technischen und qualitätsbezogenen Vorschriften hergestellt sind, die von den für inländische Erzeugnisse bestehenden Bestimmungen abweichen. Dasselbe gilt, wenn es im Ursprungsmitgliedstaat keine technischen Vorschriften für dieses Erzeugnis gibt.

Der Grundsatz gilt jedoch nicht absolut: Eine Einschränkung kann durch einen Zweck gerechtfertigt sein, der im Allgemeininteresse liegt. Daher sollte die gegenseitige Anerkennung nicht zu einer Herabsetzung der Gesundheits-, Umwelt- oder Sicherheitsstandards oder zu einer Einschränkung der Marktüberwachungskapazitäten der nationalen Behörden führen; vielmehr geht es darum, sorgfältig zwischen dem freien Warenverkehr und dem öffentlichen Interesse abzuwägen.

Die Mitgliedstaaten müssen den Grundsatz nur befolgen, wenn die legitimen Interessen, die durch die anwendbare nationale Vorschrift abgedeckt sind, angemessen geschützt sind. Ausnahmen von der Freiheit des Warenverkehrs sind eng auszugelegen. Hindernisse sind nur dann akzeptabel, wenn die nationalen Maßnahmen erforderlich sind, um zwingenden Erfordernissen oder einem der in Artikel 36 AEUV aufgeführten Interessen Rechnung zu tragen, und wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Ziel stehen.

Dies wird in einem kürzlich ergangenen Urteil des Gerichtshofs, das sich auf die Verweigerung der Anerkennung bestimmter Punzen bezieht, gut zusammengefasst:

So sind Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass von einem Mitgliedstaat auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, Vorschriften über die Voraussetzungen, denen diese Waren entsprechend müssen, angewandt werden, auch wenn diese Vorschriften unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, nach Art. 34 AEUV verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung, sofern sich die Anwendung dieser Vorschriften nicht durch einen Zweck rechtfertigen lässt, der im Allgemeininteresse liegt und den Erfordernissen des freien Warenverkehrs vorgeht.

In der gleichen Rechtssache stellte der Gerichtshof auch fest, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung auf den Handel innerhalb der Union mit aus Drittländern stammenden Waren, die sich im freien Verkehr befinden, nicht angewandt werden kann, wenn diese Waren nicht vor ihrer Ausfuhr in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, in dem sie sich im freien Verkehr befinden, im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der im nicht harmonisierten Bereich gilt, möglich sind.

  • Als allgemeine Regel gilt, dass für in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebrachte Erzeugnisse das Recht auf freien Warenverkehr in Anspruch genommen werden kann.
  • Die allgemeine Regel gilt nicht, wenn der Bestimmungsmitgliedstaat nachweisen kann, dass er aus den in Artikel 36 AEUV aufgeführten Gründen oder wegen der zwingenden Erfordernisse, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs definiert sind, vorbehaltlich der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit seine eigenen technischen Vorschriften für die betreffenden Erzeugnisse erlassen muss.

EU-Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Waren

Ab dem 19. April 2020 gilt die neue Verordnung (EU) 2019/515 über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind.

Mit der Verordnung (EU) 2019/515 hat sich die Rechtssicherheit für Unternehmen und nationale Behörden verbessert. Eingeführt werden die Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung (Selbsterklärung), mit der Wirtschaftsakteure nachweisen können, dass ihre Waren in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, ein neues Problemlösungsverfahren auf der Grundlage von SOLVIT und eine engere Verwaltungszusammenarbeit sowie ein gemeinsames IT-Tool, um die Kommunikation, die Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen den nationalen Behörden zu verbessern.

Quelle: Leitfaden zu den Artikeln 34-36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) 


Weiterführende Informationen

Verordnung (EU) 2019/515 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. März 2019 über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 764/2008

Durchführungsverordnung (EU) 2020/1668 der Kommission zur Festlegung der Einzelheiten und Funktionen des Informations- und Kommunikationssystems für die Zwecke der Verordnung (EU) 2019/515 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind.

Fachbeitrag: Freier Warenverkehr durch gegenseitige Anerkennung

Leitfaden (Originalveröffentlichung) zur Anwendung der Verordnung (EU) 2019/515 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind.

Leitfaden (Broschüre) zur Anwendung der Verordnung (EU) 2019/515 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gegenseitige Anerkennung von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht worden sind.

Stellungnahme vom 30.9.2021 der EU-Kommission in Bezug auf Nahrungsergänzungsmittel


Kategorisiert als:Gegenseitige Anerkennung, Rechtsvorschriften

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